+++News aus dem Neufahrner Gemeinderat: Von der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen und SPD des Neufahrner Gemeinderats. Straßenumbenennung in Neufahrn.+++
Ehre, wem Ehre gebührt
Zwei Straßen werden umbenannt
In der Gemeinderatssitzung vom 22.05.2023 wurde die Umbenennung der „Von-Halt-Straße“ in „Gretel-Bergmann-Straße“ und des „Konrad-Lorenz-Wegs“ in „Edith-Ebers-Weg“ mehrheitlich beschlossen. Hintergrund dieser Umbenennung ist die NS-Vergangenheit der Namensgeber der beiden Straßen. Der Historiker und SPD-Gemeinderat Maximilian Heumann hatte sowohl zu Lorenz als auch zu von Halt umfassende Recherchen durchgeführt. Seine Ergebnisse wurden zur Grundlage für eine Arbeitsgruppe aus dem Gemeinderat, die sich anhand von Leitlinien der Stadt München mit den Neufahrner Straßennamen auseinandersetzte. Die Arbeitsgruppe schlug dem Gemeinderat schließlich vor, beide Straßen umzubenennen und weitere Straßennamen mit weniger problematischer Vergangenheit mit erklärenden Beschilderungen zu versehen. Doch warum können von Halt und Lorenz nicht auf die gleiche Weise behandelt werden, warum wurde hier eine Umbenennung erforderlich? Ein Blick auf Aussagen und Taten der beiden während und nach der NS-Zeit belegt das.
Karl Ritter von Halt war nicht nur „einfaches“ Mitglied von NSDAP und SA, er gehörte auch dem Freundeskreis Reichsführer SS an und spendete beträchtliche Summen seines Privatvermögens an die SS, deren Praktiken in den Konzentrationslagern ihm durch mehrere Besuche im KZ Dachau bestens bekannt waren und ihm als unterstützenswert galten. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 wurde die deutsche Leichtathletin jüdischen Glaubens Gretel Bergmann systematisch an der Ausübung ihres Sports gehindert und vom Training ausgeschlossen, woraufhin sie nach England emigrierte. Unter Androhung von Repressalien gegen ihre in Deutschland lebende Familie wurde sie zur Rückkehr und zur Teilnahme an den Olympischen Spielen für das Deutsche Reich gezwungen. Nur so verhinderte das NS-Regime einen Boykott der Olympischen Spiele durch die USA. Kurz vor Beginn der Spiele wurde Bergmann jedoch wieder ausgeladen. Strippenzieher dieses antisemitischen Ausladungscoups war von Halt.
Konrad Lorenz war ebenfalls bekennender Nationalsozialist. Er arbeitete zum Beispiel ehrenamtlich an einer völkerpsychologischen Studie mit 877 Probanden von „deutschpolnischen Mischlingen und Polen“ mit, deren Spuren sich danach vollständig verlieren. Seine Betätigung als Verhaltensforscher war von nationalsozialistischem Rassendenken und der Einteilung der Menschen in „wertes“ und „unwertes“ Leben geprägt. Die vom NS-Regime durchgeführte, systematische „Vernichtung“ behinderter Menschen unterstütze er ebenso wie die „Ausrottung“ Homosexueller. Seine vollumfängliche Zustimmung zu Nationalsozialismus, rassistischen und antisemitischen Aussagen änderte sich auch in den Nachkriegsjahren nicht und wurde von ihm selbst mehrmals in Interviews und Veröffentlichungen bekräftigt.
Es wird klar, dass es sich bei beiden Personen nicht nur um einfache „Mitläufer“ oder NSDAP-Mitglieder handelte, sondern vielmehr um aktive Teile des NS-Unrechtsregimes. Klar ist auch, dass die Benennung einer Straße nach einer Persönlichkeit eine Ehrung für ihre besonderen Verdienste darstellt. Bei der ursprünglichen Benennung der Straßen mögen noch Erkenntnisse über die Tätigkeiten von Halts und Lorenz‘ gefehlt haben – heute liegen diese jedoch vor. Deshalb hat unserer Ansicht nach der Gemeinderat die richtige Entscheidung getroffen, als er sich zur Rücknahme dieser Ehrerweisung entschloss.
Die Straßen umzubenennen ist vor dem Hintergrund weiterer problematischer Straßennamen in Neufahrn, die nun mit Hinweisschildern versehen werden, nur konsequent: Eine adäquate Aufarbeitung der Geschichte gebietet es, zwischen den verschiedenen Belastungen der Persönlichkeiten zu differenzieren: Insbesondere möchten wir die NS-Vergangenheit durch Gleichstellung mit anderen, weniger problematischen Akteuren, nicht verharmlosen – darüber hinaus aber auch die anderen Straßennamen nicht in einen Topf werfen mit den Extrembeispielen wir von Halt und Lorenz. Die Umbenennung nur dieser beiden Straßen trägt dieser Differenzierung deshalb Rechnung.
Wie immer gab es auch in diesem Fall im Gemeinderat verschiedene Meinungen, was die Diversität der Gemeinderätinnen und -räte widerspiegelt. Dies finden wir ausdrücklich begrüßenswert – denn andere Meinungen anzuerkennen ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Demokratie. Wir lehnen jedoch Aussagen wie „aber nach der Nazizeit haben sie ja zum Aufbau des Landes beigetragen“ oder „seine wissenschaftlichen Arbeiten wiegen schwerer“ im Zusammenhang mit diesen beiden Persönlichkeiten, aber auch der NS-Zeit insgesamt, vollumfänglich ab. Sie spiegeln den Versuch wider, geschichtswissenschaftlich anerkannte Ereignisse umzudeuten und zeugen von historischer Verleugnung, insbesondere gegenüber den Opfern der NS-Diktatur. Wer wirklich glaubt, von Halts und Lorenz‘ Tätigkeiten mit einer Argumentation à la „es war ja nicht alles schlecht“ rechtfertigen zu können, verlässt nicht nur den Boden der Tatsachen, sondern auch die Grundlage unserer Erinnerungskultur, für die Deutschland international hohe Anerkennung genießt.
Auch die Argumentation vom „Auslöschen der Geschichte“ durch die Umbenennung ist falsch. Denn dass überhaupt über die problematischen Straßennamen gesprochen wurde und wird, ist nicht den „Beibehaltern“ zu verdanken, sondern den „Umbenennern“. Allen voran ist hier Maximilian Heumann zu nennen, der die Initiative startete und die Diskussion so in den Gemeinderat brachte. Ohne sein Engagement wäre die öffentliche Debatte in Neufahrn niemals ins Rollen gekommen. Der Umbenennungsbeschluss war nun eine erste Gelegenheit, offen über den Sachverhalt zu sprechen, und die Umbenennungen werden ebenso wie die Hinweisschilder sicher weiterhin für Gesprächsstoff sorgen. Ergo befinden wir uns hier in Neufahrn gerade am Anfang der Auseinandersetzung mit der Geschichte – nicht an ihrem Ende, wie von einigen suggeriert wird.